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Wie der Föderalismus Deutschland zu einer digitalen Schnecke macht

Digitalisierung

Wie der Föderalismus Deutschland zu einer digitalen Schnecke macht

Willkommen in Deutschland, dem einzigen Land auf der Erde, was noch kein Tempolimit auf deutschen Autobahnen vorschreibt. Leider ist die Digitalisierung hierzulande nicht mal im Ansatz so schnell wie vorgeschriebene Durchschnittsgeschwindigkeit auf deutschen Autobahnen. Doch wie kann es sein, dass ausgerechnet in dem Land an dem man seinem PKW teilweise bis zum Anschlag ausfahren kann bei digitaler Infrastruktur so ein Schneckentempo hinlegen? Die Antwort liegt im Herzen der deutschen Bürokratie: dem Föderalismus.

Eine fragmentierte Überregulierung

Was einst für 16 Bundesländer ursprünglich u. a. als maximale politische Mitwirkung auf lokaler Ebene sowie Machtbegrenzung gedacht war, erweist sich im 21. Jahrhundert für die Digitalisierung als eine beschwerliche Barrikade. Den Preis um Jahrzehnte verzögerte Einführung digitaler Lösungen bezahlt Deutschland mit abnehmenden internationalen Wettbewerbsstärke. So positiv das Entwickeln von eigenen Lösungen lokal vor Ort auch ist, so verführt Föderalismus auch schnell zu Silodenken. Viele machen sich gar nicht mehr die Mühe, sich zumindest mal mit den unmittelbaren Nachbar-Bundesländern auszutauschen, denn dies kostet ja nur Zeit.

Motivierte Fachkräfte, die etwas in dieser Richtung bewegen wollen, haben es mit mindestens 16 Ministerien, d. h. mit 16 landesspezifischen Gesetzen und Auslegungen der gesetzlichen Vorschriften zu tun. Nicht zu vernachlässigen sind die 18 Datenschutzbeauftragten (Bayern hat 2 und der Bundesdatenschutzbeauftrage), die ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich bewerten. Jedes Bundesland hat seine eigenen Regeln, Vorschriften und natürlich, sein eigenes Tempo. Während ein Bundesland digitale Projekte schnell vorantreiben will, sitzten andere Bundesländer hingegen gemütlich auf dem Couch und überlegen, ob das Internet-Neuland nicht nur ein vorübergehender Trend ist.

Föderalismus trägt zu einer ambivalenten Digital-Landschaft bei

Föderale Strukturen teilen Deutschlands digitale Infrastruktur
©Ioannis Christopoulos Föderalismus verhindert digital vernetzte Prozesse in Deutschland

Während manche Grundschulen bereits ihren Unterricht mit Unterstützung von digitalen Whiteboards interaktiv gestalten, begnügen sich manche Studierende noch mit Tafeln. Polizei und Feuerwehr setzen bis heute noch gerne auf Fax-Technologie. Auf der anderen Seite gibt es teilweise radiologische Kliniken, die mit KI-Unterstützung zu besseren Diagnosen beitragen, was für eine bessere individuelle Behandlung von Patienten beitragen kann.

Ein Versuch, in diesem föderalen Wirrwarr ein einheitliches digitales System einzuführen, ist in etwa so herausfordernd, wie Spaghetti mit einem Zahnstocher zu essen. Jede Behörde will an den Diskussionen „beteiligt“ werden, aber keiner will Verantwortung übernehmen. Letzlich bleiben viele positive und vielleicht auch einige wenige negative Veränderungsmöglichkeiten ungenutzt auf der Strecke. Die technischen Möglichkeiten und Sicherheitsmechanismen sind vorhanden und nicht das Kernproblem. Doch wenn die strukturellen Grundlagen, auf die diese Technik aufsetzen soll, „nicht digital-tauglich“ sind, dann können diese Systeme ihr volles Funktionspotenzial nicht entfalten.

Leider gibt es nicht 16 verschiedenen Internetnetzwerke für jedes Bundesland

Auch wenn dies manchen Föderalismus-Fans schockieren mag, es gibt leider nur ein Internet. Ein Internet, dass keine Grenzen kennt und an vielen Stellen mit Standard-Technologien arbeitet. Erst diese Standard-Technologien ermöglichen uns eine Vernetzung, wie wir sie heute kennen. Und wenn die Standard-Technologien nicht reichen, müssen technische Schnittstellen, also Anknüpfungspunkte geschaffen werden. Das Internet wäre niemals so ein mächtiges Werkzeug geworden, wenn es föderal konzipiert worden wäre.

3 Vorschläge für eine schnellere Digitalisierung in Deutschland

1. Eine bundesweit zuständige Digitalagentur

Diese zentrale Bundesbehörde könnte für alle digitalen Lebensbereiche (öffentliche Verwaltungen, Gesundheitswesen, Bildungswesen usw.) einheitliche Standards festlegen und sorgt für eine koordinierte Umsetzung. Dies würde zahlreiche Debatten in den jeweiligen Bundesländern obsolet machen und jede Menge Zeit sparen.

2. Förderung der Digitalkompetenz in der Gesellschaft

Schulen, Hochschulen und Universitäten müssen einheitliche Lehrpläne für digitale Kompetenzen und regelmäßige Schulungen im Sinne von „Updates“ für Lehrer, Dozenten etc. anbieten. Digitale Bildung muss Standard-Bildungsfach in Schulen und Studiengängen werden, vergleichbar wie Mathematik, BWL usw.

3. Vereinfachung der Verwaltungsprozesse

Tech-Konzerne aus den USA haben es zu Beginn des Internetzeitalters vorgemacht und sind damit an die Weltspitze aufgestiegen. Die Strategie der Einfachheit! „Keep It Simple And Stupid“ besagt eine alte Business-Regel. Wenn Benutzeroberflächen nicht von einem Großteil der Bevölkerung intuitiv richtig bedient und verstanden werden können, wird es nicht von allen genutzt. Dies sieht man beispielsweise an Suchmaschinen oder Standard-E-Mail-Programmen. Ein bundesweites Bürgerportal, über das alle Anliegen, die massenweise vorkommen, online abgewickelt werden können, wäre ein großer Schritt in die richtige Richtung und hätte einen so hohen Nutzen, der zu einer Erleichterung auch in anderen Branchen führen würde..

Start: Einheitliches Vorgehen, Ende: Individuelle Entscheidung

Die Politik auf Bundesebene muss verstehen, dass die föderalen Strukturen nicht das richtige Werkzeug im Umgang mit Digitalstrategien sind. Man würde ja auch nicht versuchen, mit einem Fahrrad deutsche Autobahnen zu befahren. Die föderalen Strukturen dürfen digitale Prozesse nicht mehr „nur“ bis zur Landesgrenze, also der eigenen Zuständigkeit verstehen. Fussballspieler, die einen Ball passen, schauen in der Regel auch nach, dass der Teamspieler auch in der Lage ist, den Ball anzunehmen. Die Ummeldung eines Wohnsitzes, die Zulassung eines Fahrzeugs, die Einschreibung in einen Studiengang, die Beantragung von Kindergeld gehören zu den Prozessen, die bundesweit die gleichen Ziele, Zwecke und Anforderungen haben. Das unterschiedliche Lösungsansätze und Rahmenbedingungen bestehen, ist selbst für die besten Experten kaum zu bewältigen. Deutschland ist unter diesen Voraussetzungen nicht digitaltauglich.

Eine einheitliche zugängliche digitale Struktur bedeutet keineswegs eine Einschränkung für den Föderalismus. Im Gegenteil, Standardisierung kann föderale Entscheidungen beschleunigen. Der Föderalismus ermöglicht vielmehr, dass in jedem Bundesland individuelle Entscheidungen treffen kann. Vorgänge können über einen standardisierten Weg einheitlich abgewickelt bzw. beantragt werden. Die Entscheidung bzw. das Ergebnis eines Vorgangs kann gerne in jedem Bundesland individuell ausfallen also föderal. Ja, der Föderalismus ist eine Herausforderung für die Digitalisierung, aber er muss kein unüberwindbares Hindernis sein. Mit Mut, Entschlossenheit und einer Prise Risikobereitschaft können wir digitalen Fortschritt in Deutschland bewirken, von dem letztlich alle Lebensbereiche und Branchen profitieren können. Auch eine Schildkröte kann einen Turbo einlegen und sich für ein Rennen qualifizieren.

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