Besser als „Dr. Google“ – Symptomprüfer-Apps
Eine „Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit“ von Angeboten und Diensten im Internet ist in den vergangenen Jahren zur Normalität geworden. Wir sind es gewohnt 24 Stunden am Tag uns über Angebote oder Dienstleistungen im World Wide Web zu informieren. Insbesondere der Internethandel (auch E-Commerce) hat in den vergangenen Jahren dabei neue Standards gesetzt. Genau diese Erwartungshaltung weitet sich zunehmend auf unser Gesundheitswesen aus. Vor dem Kauf von Produkten informieren sich viele Menschen im Netz. Somit ist in den vergangenen Jahren bei Bürger:innen das Bedürfnis gewachsen, sich gleichermaßen über Krankheiten eindringlich vor dem Arztbesuch zu informieren.
Laut einer Befragung des Branchenverbandes der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche (kurz Bitkom) aus dem Jahr 2020 informieren sich mehr als die Hälfte der Internetnutzer:innen in Deutschland online über ihre Krankheitssymptome. Interessant ist dabei, dass Frauen offenbar häufiger Dr. Google nutzen, als dies Männer tun. Ärzte in Praxen oder Krankenhäuser sind kaum überrascht, wenn Patienten bereits informiert bei ihnen aufschlagen. Wie gut die eigene Recherche jedoch zu einem sinnvollen Verständnis geführt hat, steht auf einem anderen Blatt. Und genau an dieser Stelle kommt Dr. Google sowie jede vergleichbare Suchmaschine im Web an ihre Grenzen.
Dr. Google ist nicht genug
Gerade bei dem Versuch, eine beliebige Suchmaschine im Internet zu nutzen, um zu ermitteln, welche Krankheiten zu einem bestimmten Symptom passen, gewinnt man eine gewisse Ahnung, wie sich Odysseus auf seinen Irrfahrten über das Meer laut der griechischen Sage gefühlt haben musste. Selbst wenn man sehr gewissenhaft die Begriffe bei Google oder einer anderen Suchmaschine eingibt, werden eine Reihe von Ergebnislisten angezeigt, die auf Webseiten mit höchst unterschiedlich aufbereiteten Informationen verwiesen. Diesen Umstand kann man Google auch keineswegs vorwerfen. Suchmaschinen sind darauf ausgelegt, Anwendern möglichst viele Ergebnislisten auf Basis ihrer Suchanfrage auszugeben. Und genau hier liegt das große Problem bei „Dr. Google“.
Anwender wollen keine lange Liste von denkbaren Krankheiten: Sie wollen einen Tipp!
Gerade in einem Kontext, wo man auf Basis seiner Symptome einer eigenen möglichen Erkrankung auf den Grund gehen will, sind eine Vielzahl an Suchergebnissen eher irreführend. Man stelle sich vor, wie grotesk es wäre, wenn Ärzt:innen nicht versuchen würden, präzise zu diagnostizieren, um welche Erkrankung es sich handelt. Vielmehr würde uns eine 10-seitige Liste von Krankheiten an die Hand gegeben, bei denen alle diese Symptome eintreten, unter denen wir gerade selbst leiden. Wahrscheinlich würden wir aus dieser Liste uns die Erkrankung aussuchen, die entweder die mildesten Konsequenzen für uns hat oder die attraktivsten Arzneimittel (z. B. Opiate) für uns mit sich bringen.
Benutzer wünschen sich also keine Auswahlliste, die zu weiteren Informationen führt. Insbesondere Bürger:innen ohne medizinische Kenntnisse fällt es schwer zu beurteilen, welches Suchergebnis für sie persönlich relevant sind. Und genau dieses sehr persönliche Anliegen, was aufgrund seiner hochkomplexen individuellen Eigenschaften weit über andere „gängige“ Bedürfnisse von Menschen hinausgeht ist der Knackpunkt. Such Suchmaschinen können ein so weit komplexes Bedürfnis nicht optimal bedienen.
Persönlicher als die eigene Gesundheit geht es wohl kaum
Gerade die eigene Gesundheit zählt zu den individuellsten Eigenschaften eines Menschen. Jeder von uns empfindet ein bestimmtes Krankheitssymptom unterschiedlich schwer. Jeder von uns hat seine persönliche Krankheitsgeschichte (beispielsweise Allergien oder medizinische Eingriffe der Vergangenheit etc.). Folglich ist eine Ergebnisliste von möglichst vielen Informationen, die alle zu dem eigenen Anliegen irgendwie passen könnten, zumindest in diesem Sachverhalt nicht immer hilfreich. Unbenommen ist es natürlich so, dass Suchmaschinen einen wertvollen Schatz an Informationen zusammentragen kann, wenn ich mich im Allgemeinen über eine bestimmte Krankheit und den damit einhergehenden Symptomen informieren möchte. Doch da wir genau diese Informationen in Beziehung zu uns selbst setzen wollen, ist dies insbesondere ohne ein Medizinstudium kaum sinnvoll möglich.
Vielmehr benötigen wir an dieser Stelle eine individuelle Antwort, die so genau wie möglich auf die eigenen Beschwerden passt. Ein Tool, welches nicht in erster Linie das Web durchsucht, sondern zunächst einmal seine Aufmerksamkeit auf unsere persönlichen Eigenschaften richtet, analog zu einem gewöhnlichen Besuch in der Arztpraxis.
Es mag an dieser Stelle etwas grotesk erscheinen, dass ausgerechnet eine Suchmaschine wie Google, die wahrscheinlich über mehr Informationen über jeden Einzelnen von uns verfügt, als jeder Geheimdienst auf der Welt, ausgerechnet in diesem Punkt an seine Grenzen stößt. Hier können Symptomprüfer-Apps eine gute Lösung sein.
Wie eine Symptomprüfer-App prinzipiell funktioniert
Die Anwender werden von der App in einem Interview-Modus zu ihren Beschwerden befragt. Im Gegensatz zu einer gängigen Suchmaschine fragt die Anwendung bei uns mehrfach noch einmal nach. Dabei werden jedoch Antwortoptionen von der App bereits vorgegeben, sodass wir nur noch das Zutreffende auswählen müssen. Damit präzisiert sie unser Anliegen genauer und kann die in Frage kommenden Krankheiten eingrenzen. Das ist der wesentlichste Unterschied zu „Dr. Google“, denn dieser fragt bei uns nicht noch einmal nach, was wir mit unserer Eingabe denn nun konkret meinen.
Je nachdem, welche Antworten der Nutzer in der Symptomprüfer-App eingibt, variiert die Anzahl der gestellten Fragen. Die Informationen werden in einer medizinischen Datenbank, auf die die Künstliche Intelligenz (KI) zugreift, abgeglichen. Wenn die KI Parallelen zu den von uns eingegeben Symptomen in ihrer eigenen Datenbank erkennt, werden uns Diagnosevorschläge als Ergebnis ausgegeben. Diese fallen normalerweise sehr viel übersichtlicher aus als Ergebnislisten von Suchmaschinen.
Von der Verwendung der App profitieren sowohl wir als Nutzer aber zugleich ebenso die KI hinter der Symptomprüfer-App. Durch die von uns eingegebenen Informationen erweitern wir ihre Datenbank und tragen somit dazu bei, dass die App künftig noch bessere Ergebnisse liefern kann. Nicht zu vernachlässigen ist, dass Symptomprüfer-Apps auch einen sehr hilfreichen Beitrag bei Sprachbarrieren leisten kann. So sind nahezu alle bisher auf dem Markt befindlichen Symptomprüfer-Apps mehrsprachig bedienbar. Hersteller von diesen Anwendungen versichern, dass sie aufgrund der hohen persönlichen Gesundheitsdaten alle datenschutzrechtlichen Anforderungen, denen sie unterliegen, einhalten. Ob dieses Versprechen den Nutzern solcher Anwendungen ausreicht, muss jeder für sich selbst entscheiden.
Natürlich sind Systemprüfer-Apps keine „Alleskönner“. Sie können meistens einer Person mit medizinischen Kenntnissen nicht den Rang ablaufen. Aber für eher allgemeinere Erkrankungen können sie eine gute Orientierung und eine Empfehlung geben, ob man eine Praxis oder ein Krankenhaus aufsuchen sollte. Interessant sind solche KI-gestützten Apps auch für Gesundheitsfachberufe und haben das Potenzial, bestimmte Entscheidungen zu unterstützen.
Die Apps machen sich jedoch nicht nur eine Meinung über die möglichen Leidensursachen. Bei manchen Apps wird darüber hinaus mithilfe von Algorithmen eine Auswahl von geeigneten Gesundheitseinrichtungen (Praxen, Krankenhäuser usw.) in Ortsnähe benannt, die die Kompetenzen haben, die wahrscheinliche Erkrankung zu diagnostizieren und zu behandeln.
Beispiele für KI-Doktoren
Ein gutes Beispiel ist für eine Symptomprüfer-App kommt aus Deutschland. Die App-Anwendungn Ada hat Privatpersonen als Zielgruppe. Das hinter Ada stehende Unternehmen Ada Health GmbH hat seinen Sitz in Berlin. Die Weiterentwicklung der Anwendung wird mithilfe von medizinischem Fachpersonal vorangetrieben.
Eine weitere Symptomprüfer-App hat die Firma Infermedica mit dem Namen „Symptomate“ entwickelt. Bei Beantwortung einer Reihe von diagnostischen Fragen gibt die App mögliche Erkrankungen sowie Handlungsempfehlungen vor. Laut eigenen Angaben arbeiten über 200 Personen an der ständigen Fort- und Weiterentwicklung der KI-gestützten App. Die Sana Kliniken AG ist Kooperationspartner von Infermedica und bewirbt Symptomate sogar auf ihrer Webseite. Für die Nutzung der App schließt Sana jedoch jegliche Art der Haftung aus. Im Gegensatz zur deutschen Symptomprüfer-App Ada bewirbt Infermedica seine App als ergänzende Servicelösung für Unternehmen (z. B. in der Versicherungsbranche). Die künstliche Intelligenz wird hierbei als ein „As-A-Service“-Dienst angeboten. Laut Infermedica ist Symptomate sogar für ganze IT-Ökosysteme wie Amazon Alexa integrierbar.
DKV Seguros ist ein spanisches Unternehmen, welches die App „Digital Doctor“ entwickelt hat. Eine App, die nicht ausschließlich eine Systemprüfer-App ist, jedoch einen entsprechenden Dienst als Bestandteil der gesamten App integriert hat. Auch hier werden durch Antworten des Anwenders eine Bewertung des Gesundheitszustandes nach klinischen Algorithmen vorgenommen. Aber nicht nur Symptome werden bei der Einschätzung berücksichtigt, auch regelmäßig eingenommene Medikamente oder vorhandene Allergien werden dabei berücksichtigt, sofern die App auf diese Daten digital zugreifen kann. Darüber hinaus bietet die App DKV-Kunden eine medizinische Online-Behandlung per Chat oder Videoanruf an. Weiterhin können auch medizinische Dokumente oder Bilder ausgetauscht werden. Sogar ein medizinisches Lexikon mit medizinischen Fachbegriffen ist in der App integriert.
Endgültige Diagnosen weiterhin ausschließlich von menschlichen Ärzten!
So faszinierend und nützlich eine solche App auch sein mag, muss jedem von uns klar sein, dass weder der App-Hersteller noch die dahinterstehende KI rechtlich zur Verantwortung gezogen werden können. Eventuelle Fehldiagnosen sind – genauso wie bei echten Ärzten – möglich. Allerdings kann man Ärzte für ihre Fehler verantwortlich machen, sofern man ein Fehlverhalten der Ärzt:innen nachweisen kann. Zwar kann die KI im Gegensatz zum Arzt innerhalb kürzester Zeit eine große Menge an Daten heranziehen, aber sie kann keine körperliche oder psychische Untersuchung ersetzen. Es gibt rechtlich keine Vorgaben, wer für Fehler von solchen KI-Anwendungen geradestehen müsste. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass eine fehlerhafte Diagnose aufgrund von nicht ehrlich beantworteten Fragen oder irrtümlich falscher Bedienung der App zurückzuführen ist.
Symptomprüfer-Apps können ausschließlich Verdachtsdiagnosen stellen
Symptomprüfer-Apps sind eine hilfreiche und gute Ergänzung im Gesundheitswesen. Sie können uns eine Orientierung bieten, aber keine absolute Sicherheit. Zugleich darf man nicht dem Glauben verfallen, dass KI-Systeme perfekt funktionieren und immer richtige Ergebnisse liefern. Dies ist definitiv nicht der Fall. Das bedeutet, dass auch Symptomprüfer-Apps Fehler unterlaufen können. Das Risiko sowie die Verantwortung für Fehldiagnosen tragen weiterhin Menschen – also Ärzte, Zahnärzte und so weiter.
Damit sollte jedem Anwender klar sein, dass Symptomprüfer-Apps rein datenbasierte Ersteinschätzungen (Verdachtsdiagnosen) ausgeben. Bei diesen Diagnosen fehlen die äußerst entscheidenden körperlichen oder seelischen Untersuchungen. Selbst das Eintreten eines Patienten bei der Begrüßung kann erfahrenen Ärzten einen viel sagenenden Eindruck vermitteln, wie es dem Menschen gerade geht. Wie auch bei anderen digitalen Anwendungen schwankt die Qualität der angebotenen Dienste sehr stark. Daher sollte man im Vorfeld versuchen so viele Informationen über den Hersteller einzuholen, wie es einem möglich ist.
KI-Technologie wird nicht nur in Symptomprüfer-Apps verwendet. Perspektivisch erhofft sich insbesondere der Forschungsbereich weitreichende Erkenntnisse mithilfe von KI zu erzielen, zum Beispiel bei der Krebsforschung. Aber auch in der direkten Behandlung von Patienten kann KI eine sinnvolle Ergänzung darstellen, zum Beispiel zur sehr schwierigen Diagnostik von äußerst seltenen Erkrankungen. Ein weiterer Vorteil von Systemprüfer-Apps ist, dass die darin gewonnenen Informationen wissenschaftlich gesichert sind.
Verlaufsprognose für Symptomprüfer-Apps
Ich denke, dass Symptomprüfer-Apps künftig neben reinen Fragen und Antworten auch Daten aus der Smartwatch oder dem Smartphone hinzuziehen werden können. Dies könnte zur Verbesserung der Qualität der Verdachtsdiagnose beitragen. Auch eine künftige Verknüpfung mit der Krankheitsgeschichte aus der persönlichen elektronischen Patientenakte (ePA) ist halte ich durchaus für denkbar. Dies wäre ein großer Schritt in Richtung einer personalisierten Medizin.
Weiterhin bin ich überzeugt, dass finale Diagnosen ausschließlich von Ärzten, Psychologen und so weiter gestellt werden. Schon alleine aus rechtlicher Sicht lässt sich die Verantwortung für eine Behandlung oder Diagnose nicht anders regeln. Aus meiner Sicht kann eine Symptomprüfer-App keine Diagnosen stellen, sondern nur Empfehlungen geben. Ebenso kann die App keine professionelle Beratung von Ärzten oder weiteren Behandlern ersetzen, da. Die Anwendungen können und sollten weiterhin eher allgemeine medizinische Informationen enthalten. Ich glaube, dass man eine Symptomprüfer-App am ehesten wie einen Buchratgeber betrachten sollte, mit sehr wertvollen und guten Informationen.



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