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Wie die langzeiterkrankte elektronische AU-Bescheinigung (<s>wieder-</s>)eingegliedert wurde

Ein krank aussehender Mann, eingewickelt in einer Decke trinkt aus einer weißen Tasse.

Wie die langzeiterkrankte elektronische AU-Bescheinigung (wieder-)eingegliedert wurde

Etwa 77 Millionen AU-Bescheinigungen jährlich in Deutschland

Die meisten von uns wurden im Laufe seines Arbeitslebens schon einmal krank geschrieben, unabhängig davon, ob man gesetzlich oder privat versichert ist. Während für die circa 7 Millionen Privatversicherten sich an dem Prozedere nichts ändern wird, ist es für die Mehrheit aller Menschen in Deutschland, etwa 73 Millionen gesetzlich Krankenversicherte grundlegend etwas. Wie die Arbeitnehmer:innen hiervon ab sofort profitieren und wie schwierig der Weg für das deutsche Gesundheitswesen bis hierhin war, erfährst Du in diesem Beitrag.

Die AU-Bescheinigung besteht aus drei Durchschlägen:

  1. für die gesetzliche Krankenkasse
  2. für den Arbeitgeber
  3. zum Verbleib bei den Versicherten

Laut dem GKV-Spitzenverband (Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenkassen) gibt an, dass derzeit jährlich etwa 77 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) von Ärzt:innen ausgestellt werden.

Die technischen Krankheiten der AU-Bescheinigung wurden seit 2021 verschleppt

Die meisten von uns bekammen es gar nicht mit. Doch seit dem 1. Oktober 2021 (ja, Du hast richtig gelesen), dürfen Arztpraxen AU-Bescheinigungen elektronisch ausstellten. Doch in der Realität werden erst seit 2023 die ersten von uns Erfahrungen mit einer digitalen AU-Bescheinigung gemacht haben. Wieso ist es erst über ein Jahr später technisch möglich ist, eine eAU 100%ig papierlos auszustellen? Das Thema Digitalisierung in Deutschland ist kompliziert, insbesondere gilt dies für das Gesundheitswesen. Zum 1. Juli 2022 wurden alle Ärzt:innen in Praxen und Krankenhäusern endgültig dazu verpflichtet AU-Bescheinigungen elektronisch durchzuführen. Zwischen einer rechtlichen Verpflichtung und einer technischen Umsetzung besteht bekannterweise ein großer Realitätsunterschied. Die Gründe dabei liegen darin, dass nicht alle an diesem Vorgang beteiligten Akteure gleichermaßen rechtzeitig die entsprechenden Voraussetzungen geschaffen haben. Doch lasst mich versuchen es Euch Schritt für Schritt zu erläutern.

Ursprünglich sah das das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) vor, dass die eAU zum 1. Januar 2021 eingeführt wird. In der Realität kränkelte die neue Anwendung für die Telematikinfrastruktur (TI), wie die Patient:innen für die sie ausgestellt wurde. Im Gegensatz zu den Patient:innen ließen die Verantwortlichen die „Erkrankung“ (keine Kinderkrankheiten) eine viel zu lange Zeit unbehandelt., Die unzureichend getestete und von den IT-Anbietern unzureichend umgesetzte Anwendung wurde bis ins Jahr 2023 verschleppt.

Doch was sind die konkreten Gründe dafür, dass der zuvor anvisierte Termin ab 1. Januar 2021 nicht gehalten wurde? Für die meisten ärztlichen Selbstverwaltungen (z. B. Bundesärztekammer oder Kassenärztliche Bundesvereinigung) sowie für viele IT-Experten war bereits Anfang 2020 absehbar, dass die politisch per Gesetzgebung vorgegeben Termine nicht realisierbar sein würden. Doch die Gesundheitspolitik reagierte nicht auf die zahlreichen Warnungen aus der Ärzteschaft sowie der IT-Dienstleister. Der Druck auf Akteure wurde bis kurz vor Jahreswechsel auf Ärzt:innen, Zahnärzt:innen, Gesetzliche Krankenkassen und die IT-Industrie aufrecht erhalten.

Erst kurz vor den Weihnachtstagen 2020 verkündete das Bundesgesundheitsministerium, dass die Einführung der eAU nicht wie geplant zum Jahreswechsel stattfinden könne. IT-Dienstleister war es bisher nicht gelungen in Praxen und Krankenhäusern die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Besonders grotesk erscheint hier, dass die gesetzlichen Krankenkassen gleichermaßen technisch noch nicht hinreichend vorbereitet waren, obwohl sie als aller erste Instanz von der Einführung der eAU profitieren würden.

Doch wie kann so etwas passieren? Warum ist es so schwierig, einen kleinen gelben Schein digital auf sicherem Wege von der Arztpraxis zu der Krankenkasse zu übermitteln? Sie die Arztpraxen Schuld, weil sie sich gegenüber digitalen Anwendungen querstellen? Hat die IT-Industrie evtl. die Frist verschlafen und keine entsprechende Erinnerungsfunktion in ihrem elektronischen Kalender eingerichtet? Oder scheiterte die Einhaltung des Termins aufgrund der mangelhaften Vorbereitungen der gesetzlichen Krankenkassen? Die Antwort auf diese Frage ist pauschal nicht zu beantworten. Im Grunde kann man sagen, dass es an einer Vielzahl von Umständen lag, die dazu führten, dass die eAU insgesamt bis zum 30. Juni 2022 verschleppt wurde, also 1 1/2 Jahre später als ursprünglich vorgesehen.

Woran hakte es?

1. Die technischen Voraussetzungen waren nicht vorhanden

Die IT-Industrie stand vor einer nicht zu unterschätzenden Aufgabe. Man stelle sich die in Deutschland ca. 100 auf dem Markt befindlichen Praxis-IT-Systeme vor, die versuchen sämtliche Vorgaben zur eAU zu realisieren. Die politisch Ziele waren zu kurzfristig gesetzt. Man muss sich schlicht vor Augen führen, dass die eAU nicht die einzige umzusetzende IT-Projekte für diese Hersteller ist. Auch andere technische Anwendungen, die nichts mit der Telematikinfrastruktur zu tun haben, müssen zum Teil zu gesetzlich vorgegebenen Terminen umgesetzt werden. Die eAU ist damit ein Projekt unter vielen für IT-Dienstleister.

2. Das Land der unbegrenzten Krankenkassen und IT-Dienstleister

Neben der vielfältigen Praxis- und Krankehaus-IT-Landschaft kommt hinzu, dass es in Deutschland knapp 100 gesetzliche Krankenkassen gibt. Ebenfalls, wie die IT-Industrie müssen die Kassen ihre technischen und organisatorischen Prozesse an die eAU anpassen. Wem diese Hürde noch nicht groß genug erscheint, muss sich klar machen, dass es darüber hinaus in Deutschland über 100 verschiedenen Softwaresysteme für Arztpraxen oder Krankenhäuser gibt, die eine eAU generieren können müssen. Und dieser Gedanke ist nur grob heruntergebrochen. Je tiefer man sich im Detail mit dem Thema beschäftigt, umso komplexer gestaltet sich die Realisierung dieses Projektes, was auf dem ersten Blick so simpel erschien. Diese hunderte von unterschiedlichen IT-Systemen müssen zudem reibungslos miteinander kompatibel ineinandergreifen. Dies passiert nicht automatisch, sondern ist mit erheblichem Koordinations- und Programmieraufwand verbunden. Insbesondere der Punkt der Koordination ist politisch unterschätzt worden. Man glaubte bisher, man müsse lediglich gewisse Vorgaben machen und die IT-Systemhäuser würden sich alle danach orientieren. Das die erarbeiteten Vorgaben jedoch von den, wie gesagt, über 100 IT-Dienstleistern unterschiedlich interpretiert werden könnten, war für die Gesundheitspolitik offenbar nicht vorstellbar.

3. Die zeitgerechte Umsetzung wurde Ärzt:innen und Zahnärzt:innen auferlegt

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus dem Jahr 1955
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ausgestellt von Dr. Hans Möller, Wentorf

Wem die vorgenannten Fakten schon kompliziert genug sind, wird den Kopf darüber schütteln, dass der Gesetzgeber darüber hinaus auch eine groteske Strategie verfolgt, um das Ziel in der Realität durchzusetzen. Anstatt die Softwareanbieter per Gesetzesverordnung zu einer termingerechten Entwicklung der eAU zu zwingen, entschied sich die Gesundheitspolitik dafür, den Druck lieber gegenüber den Anwendern auszuüben. Somit wurden mit dem TSVG Ärzt:innen und Zahnärzt:innen dazu verpflichtet dafür zu sorgen, dass ihre Praxen / Krankenhäuser ab dem 1. Janaur 2021 eAUs ausstellen. Sollten sie hingegen weiterhin eine Papier-AU-Bescheinigung ausstellen, müssten diese mit finanziellen Sanktionen rechnen. Diese gesetzliche Verpflichtung erscheint äußerst paradox.

Stell Dir vor, der Staat Dich dazu verpflichten bis Ende 2023 ausschließlich auf Deinem Rechner das nächste Betriebssystem Windows 12 zu verwenden. Solltest Du dieser Pflicht nicht nachkommen, musst Du mit Nachzahlungen (1% Deiner Jahresbruttogehaltes) im Rahmen der Steuererklärung rechnen. Was würdest Du unternehmen , um den Konzern Microsoft dazu zu bewegen fristgerecht Dir das neue Betriebssystem zur Verfügung zu stellen. Interessant wäre zudem auch, wie wäre Deine persönliche Haltung gegenüber dem künftigen Betriebssystem? Wäre Sie positiv? Neutral? Oder eher negativ? Selbstverständlich muss im Gegensatz zu Dir Microsoft selbst nicht staatliche Sanktionen befürchten. Wäre eine solche Strategie zur Einführung einer neuen Anwendung aus Deiner Sicht zielführend? Schreib es mir gerne als Kommentar!

Es ist zwar plausibel, Ärzte dazu zu verpflichten ab einem gewissen Zeitpunkt AUs digital auszustellen, jedoch ist es erklärungsbedürftig, weshalb bei Nichterfüllung ausgerechnet die Anwender mit finanziellen Einbussen bestraft werden. Die ohnehin für Softwareanbieter knapp bemessene Entwicklungszeit für ein bestimmtes Tool, können die Anwender in aller Regel kaum beeinflussen. Ärzte, Zahnärzte, Psychologen und Apotheker sind keine Programmierer. Selbst, wenn man darüber nachdenken würde, mit seiner Praxis zu einem Konkurrenten zu wechseln, der womöglich die eAU bereits anbietet, so ist der Wechsel einer Praxis- oder Krankenhaussoftware ein schwieriges, kostspieliges und aufwendiges Verfahren, was nicht selten auch zu Datenverlusten führt, weil die Datenformate des einen Herstellers nicht kompatibel mit denen des anderen sind. Für eine verhältnismäßig „kleine“ Anwendung, wie eine eAU wäre ein solcher Aufwand unangemessen und für das gesamte Personal in Praxis und Krankenhäuser unzumutbar..

Mit dieser schlechten politischen Strategie wurde den beteiligten Gesundheitsfachberufen die eAU somit schon bei der Einführung nicht positiv präsentiert. Eher das Gegenteil war der Fall. Insbesondere die Selbstverwaltungen (Landesärztekammern etc.) kritisieren bis heute die Gesundheitspolitik, dass Ärzte und Zahnärzte Sanktionen angedroht werden, obwohl diese keinen Einfluss darauf haben, wie schnell ihr Softwareanbieter die gesetzlichen Anforderungen für die eAU umsetzt.

4. Eine nur teilweise digitalisierte AU-Bescheinigung

Ein weiterer Knackpunkt ist, dass bei Start der eAU nur zum Teil digital ablief. Wer davon ausging, dass die eAU von Beginn an komplett digital ausgestellt wurde, war auf dem sprichwörtlichen Holzweg. Zum endgültigen Einführungtermin, dem 1. Juli 2022 bestand die eAU bei allen Praxen und Krankenhäusern, sofern sie dort überhaupt pünktlich zum Einsatz kam, zunächst einmal „nur“ aus einem digitalen Durchschlag für die Krankenkassen, der mit einem speziellen E-Mail-Fachdienst an die Krankenkassen übermittelt wird. Wir als Patienten kriegen von dieser digitalen Übermittlung jedoch nichts mit. Die anderen beiden Dokumente für den Arbeitgeber sowie für den Versicherten selbst blieben vorerst erhalten. Jedoch nicht als Durchschläge, sondern als Ausdrucke auf weißem Papier. Ja, Du hast richtig gelesen. Ausgerechnet der Durschlag, der prinzipiell erst ab dem 4. Krankheitstag für Krankenkassen relevant ist, wurde im ersten Schritt digitalisiert. Zuvor war es stets Aufgabe des Patienten, dafür zu sorgen, dass diese Bescheinigung der Krankenkasse übermittelt wird. In der Vergangenheit kam es auch gelegentlich vor, dass Patienten die Zusendung an ihre Krankenkasse vergaßen.

Die Umstellung zur eAU war von den Schlüsselverantwortlichen von Beginn an schrittweise vorgesehen. Dies war stets öffentlich so kommuniziert worden. Wahrgenommen wurde dieser Fakt jedoch in der Regel nur von Fachleuten. Dazu gehören logischerweise nicht die Patienten, allerdings in den seltesten Fällen ebenso die Ärzte. Dies führte natürlich zu Akzeptanzproblemen auf beiden Seiten. Die Teilumstellung war für Patienten und Ärzte schwer bis gar nicht vermittelbar. Dies ist nicht weiter verwunderlich, da die Gesellschaft andere Verfahren zur Digitalisierung von Prozessen gewohnt ist. Man denke beispielsweise an das erfolgreiche Elster oder Onlinebanking, was inzwischen gesellschaftlich akzeptiert und genutzt wird.

Der teil-digitale Einstieg der eAU in der Patientenversorgung ist, kam für Ärzte und Zahnärzte unerwartet, aber gleichermaßen für Patienten irritierend. Es ist absolut verständlich, dass in Praxen und Krankenhäusern diesen ersten Schritt bemängeln, da fast jeder Beteiligte unter einer eAU sich etwas vollkommen anderes vorgestellt hat.

5. Die politische Top-Down Gesetzesgebung

Die Umsetzung der eAU wurde von dem Bundesgesundheitsministerium angetrieben. Zwar wurden die beruflichen Selbstverwaltungen der Ärzteschaft, der Krankenkassen, der Apotheker und Psychologen an den Diskussionen beteiligt. Doch die Anforderungen zur Schaffung der Voraussetzungen waren von den Gesundheitsfachberuflern hoch angesetzt. Datenschutz und -sicherheit wurde von Anfang an der höchste Stellenwert eingeräumt. Des Weiteren wurde eine einfache komfortable Bedienung der eAU gefordert. In diesem Punkt muss man sich klar machen, dass Ärzte und Zahnärzte kaum von einer eAU profitieren. Grund dafür ist, dass es sich um einen reinen Verwaltungsprozess handelt. Die therapeutische Behandlung von Patienten bleibt unberührt. Es führt demnach zu keiner erlebbaren Erleichterung für Ärzte oder ihre medizinischen Fachangestellten. Daher ist es nachvollziehbar, dass die Anforderungen der Akteure vom ersten Moment an so hoch angesetzt waren, dass sie in jedem Fall einen Mehraufwand vermeiden wollten. Ob dies gelungen ist, bleibt im Augenblick zumindest noch angezweifelt werden. Vorsichtig beschrieben scheint es aktuell in dem technischen Prozess noch Luft nach oben zu geben.

6. Der fehlende Anreiz für Ärzte

Dies ist ein wesentlicher Grund, welcher in vielen weiteren digitalen Anwendungen im der Telamtikinfrastruktur vorzufinden ist. Es fehlt an einem konkreten Nutzen für Ärzte und Zahnärzte so bald wie möglich ihre Systeme auf eine eAU umzustellen. Dies ist strategisch ungünstig, da diese beiden Berufsgruppen für den Startpunkt der gesamten Prozesskette darstellen. Es besteht für sie kein Mehrwert und somit auch kein positiver Anlass dafür auf ihre Softwareanbieter Druck auszuüben möglichst zeitnah ihre IT-Systeme auf die eAU umzustellen. Wobei diese Aussage nicht ganz richtig ist. Es gibt schon einen Anreiz: Die Vermeidung der unter 3. genannten Sanktionen, wenn diese weiterhin eine Papier-AU-Bescheinigung ausstellen. Ob dies motivierend auf Ärzte und Zahnärzte gewirkt haben mag, darf mit Sicherheit bezweifelt werden.

Eine solche Strategie würde ich eindeutig in Frage stellen. Bisher sind mir keine IT-Anwendungen bekannt, die sich durchsetzt haben, weil von einer höreren Instanzen mit finanziellen Strafen angedroht wurden. Die Historie hat uns gezeigt, dass sich Technologie dann durchsetzen kann, wenn Menschen einen konkreten Vorteil hieraus für sich erkennen. Beispielsweise ist die heutige E-Mail-Korrespondenz für uns zu einer Selbstverständlichkeit geworden, weil der Nutzen klar ersichtlich ist. Bei der eAU hingegen fehlt eine solch konkreter Mehrwert für die Ärzte und Zahnärzte. Es gibt keine Kosten- oder gar Zeitersparnis und auch keine sonstige Erleichterung für den Arbeitsalltag für Ärzte. Ach ja, nicht zu vergessen: Praxen und Krankenhäuser sind gesetzlich verpflichtet sich an die Telematikinfrastruktur anzubinden sowie einen elektronischen Heilberufsausweis (eHBA) zur Signatur der eAU zu nutzen, was für sie mit weiteren laufenden Kosten verbunden ist. Zwar mögen die Kosten für den eHBA bei derzeit etwa 100 Euro jährlichen verkraftbar sein, doch insgesamt fällt der Aufwand für die Erstellung einer eAU auf ärztlicher Seite eindeutig höher aus als bei der einstigen Papiervariante. Wir sollten auch nicht unterschlagen, dass Ärzten und Zahnärzten obendrein mehr Verantwortung für ihre Patienten auferlegt wird. Neben einer medizinisch sinnvollen Behandlung dürfen Ärzte ihren Patienten die Verantwortung abnehmen eigenständig sich um die Übermittlung der AU-Bescheinigung an ihre Krankenkasse zu kümmern. Wie lässt sich unter diesen Bedingungen eine positive Motivation bei Ärzten erreichen? Gar nicht!

Doch nur, weil Ärzte und Zahnärzte keinen erkennbaren Nutzen von der eAU haben, bedeutet das nicht, dass niemand einen Mehrwert daraus zieht. Zum einen sind dies die Patienten, die nicht selbstständig ihrer Krankenkasse die AU übermitteln müssen. Zum anderen sind es vor allen Dingen die Empfänger der eAU. Krankenkassen und jetzt auch Arbeitgeber müssen keine Papier-AU-Bescheinigungen mehr per Post erhalten, einscannen oder manuell per Hand in ihre IT-Systeme einpflegen. Den Krankenkassen war dies schon Jahre vor der Einführung der eAU ein Dorn im Auge. Diverse Krankenkassen ermöglichten es ihren Versicherten über eigene digitale Lösungen, wie beispielsweise eine Smartphone-App die AU-Bescheinigung abzufotografieren und digital zu senden. Die neue eAU wird jetzt mit einer bestimmten Datenstruktur über einen technischen Standardweg transportiert. Dies ermöglicht ihnen, den Verwaltungsaufwand zu reduzieren und ggf. auch eine automatisierte Weiterverarbeitung.

Die zwei Phasen der eAU

1. Die Ausstellung der eAU in der Arztpraxis / im Krankenhaus

Im Laufe eines Versorgungsalltags schreiben Ärzte täglich einige Patienten arbeitsunfähig. Sollte es während diesem Vorgang zu technischen Problemen kommen (zum Beispiel: Ausfall des Internet), erhalten Patient:innen einen Papierausdruck zur Vorlage bei ihrem Arbeitgeber und für ihre Krankenkasse. Sofern es für die Praxis oder das Krankenhaus absehbar sein, dass am darauffolgenden Tag ein AU-Versand an die Krankenkassen technisch weiterhin nicht möglich sein wird, müssen die AU-Bescheinigungen notfalls am nächsten Werktag in Papierform per Post an die Krankenkasse verschickt werden.

Die digitale Übermittlung der eAU an die zuständige Krankenkasse kann grundsätzlich sofort für jeden Patienten einzelnd erfolgen. Es ist technisch ebenso möglich die im Tagesverlauf angefallenen eAU zunächst technisch zu sammeln und zum Beispiel kurz vor Feierabend alle eAUs „in einem Rutsch“ zu übermitteln. Die (Zahn-)Ärztekammern und Kassen(zahn)ärztlichen Vereinigungen empfehlen ihren Berufsgruppen mindestens einmal täglich eAU-Daten an die Krankenkassen übertragen. Hierbei werden zeitgleich alle ausgestellten AU-Bescheinigungen mit einer sogenannten elektronischen qualifizierten Signatur (QES) eines elektronischen Heilberufsausweises (eHBA) von (Zahn-)Ärzten versehen und an die zuständigen Krankenkassen ihrer Patienten verschickt.

2. Die eAU-Übermittlung an die Arbeitgeber

Gemäß dem Dritten Bürokratieentlastungsgesetz soll mit der Einführung des Arbeitgeberverfahrens die eAU nun nahezu vollständig digital ablaufen. Der Durchschlag zur Vorlage für den Arbeitgeber fällt ab 1. Januar 2023 für gesetzlich Krankenversicherte weg. Lediglich der Durchschlag zum Verbleib beim Versicherten kann optional dem Patienten als Ausdruck ausgehändigt werden. Patienten können jedoch auf den Ausdruck verzichten.

Ab 2023 sind Arbeitgeber in der Pflicht, die eAU-Daten digital bei der zuständigen Krankenkassen elektronisch abzurufen. Die Entgeltabrechnungsprogramme müssen spätestens ab 2023 technisch in der Lage sein, AU-Daten über eine gesicherte und verschlüsselte Datenübertragung bei den Krankenkassen herunterzuladen. Der Datenabruf muss von den lohnabrechnenden Stelle erfolgen. Auch rückwirkende Abfragen von eAU-Daten sind technisch möglich.

Elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) – ©Ioannis Christopoulos

Erst nach Überschreiten der Attestpflicht (in der Regel ab dem 4. Krankheitstag) können die eAU-Daten abgerufen werden. Die Krankenkassen stellen die AU-Daten in einem elektronischen Rückmeldeverfahren für Arbeitgeber bereit. Wer wann welche AU-Daten herruntergeladenen hat wird technisch protokolliert. Ob und wann Arbeitgeber die eAU-Daten abrufen, können sie prinzipiell selbst entscheiden. Technisch bieten Entgeltabrechnungsprogramme häufig eine „Abo-Funktion“ an, sodass Personalabteilungen den Datenabruf nicht aktiv über eine manuelle Steuerung anstoßen müssen.

Sollte es bei dem Datenabruf durch den Arbeitgeber aus irgendwelchen Gründen zu technischen Störungen kommen, stellen Krankenkassen proaktiv spätestens nach 14 Tagen, die eAU-Daten im Nachgang zur Verfügung. Das bedeutet, dass Arbeitgeber nicht mehrfach die selben Daten anfordern müssen.

Arbeitnehmer müssen sich weiterhin bei ihrer Arbeitsstelle krank melden

Die Digitalisierung der eAU bedeutet jedoch nicht, dass Arbeitnehmer sich bei ihrer Arbeitsstelle nicht mehr krank melden mussten. Diese Verpflichtung besteht weiterhin unabhängig davon, ob eine AU-Bescheinigung digital oder auf Papier ausgestellt wurde. Erst, wenn Arbeitnehmer die Krankmeldung bei ihrer Arbeitsstelle ordnungsgemäß nachgekommen sind (zum Beispiel per Telefon) und eine eAU ggf. nachgeliefert wird, haben diese Anspruch auf Entgeltfortzahlung (siehe hierzu das Entgeltfortzahlungsgesetz). Eine detaillierte Verfahrensbeschreibung für Arbeitgeber hat der GKV-Spitzenverbandes bereitgestellt.

Papier ist geduldig, auch bei einer eAU

Doch was in der Theorie (oder in einem Gesetz) steht, muss nicht immer 1:1 der Realität entsprechen. Selbst, wenn man davon ausgeht, dass zum Jahreswechsel alle Arztpraxen und Krankenhäuser technisch die eAU realisiert haben, bedeutet dies nicht, dass Arbeitgeber zugleich ebenfalls für die Umstellung bereit sind. Vorstellbar wäre sogar, dass manche Arbeitgeber erst kurz vor oder nach der Umstellung mitbekommen haben, dass dieser über mehrere Jahrzehnte bestehender Routineprozess digitalisiert wurde. So geht die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) davon aus, dass zum 1. Januar 2023 nicht gänzlich alle Arbeitgeber technisch und organisatorisch in der Lage sein werden, die eAU zu verarbeiten. Daher werden zu diesem Stichtag noch einige Personalabteilungen Papierausdrucke von ihren Arbeitnehmern einfordern. Kurz gesagt: Auch zum Jahreswechsel wird noch nicht flächendeckend alles „rund“ laufen. Es wird noch etwas Zeit vergehen müssen, bis sämtliche Fehler behoben worden sind.

Für Patienten eAU eine „Überraschung“ gewesen sein

Die Öffentlichkeitsarbeit hinsichtlich der Einführung der eAU hat nicht funktioniert. Patienten und Arbeitgeber war die eAU-Einführung nahezu unerwartet. Aus ihrer Sicht hätten Krankenkassen über die Umstellung des Verfahrens gar nicht oder nur unzureichend ihre Versicherten informiert. Rückblickend kann man sagen, dass eine Bewerbung allein durch die Krankenkassen sowie der Medien für die Gesundheitsfachberufe nicht ausreichend war, um flächendeckend von der Gesamtbevölkerung zur Kenntnis genommen zu werden. Ob die Akteure hieraus etwas für die Zukunft gelernt haben, bleibt abzuwarten.

Von der Umstellung auf eAU nicht alle Patienten betroffen

Wie in vielen Dingen im Leben gibt es Ausnahmen, die die Regel bestätigen. So sind folgende drei Fälle von der eAU-Pflicht ausgenommen:

  1. Privat Versicherte erhalten (erstmal) weiterhin ihre AU-Bescheinigung in Papierform. Derzeit existiert noch keine Frist, ab wann bei Privatpatienten die AU-Bescheinigung digital abgewickelt werden wird. Allerdings lässt sich feststellen, dass die entsprechenden Vorkehrungen bereits in Arbeit sind. Es ist sehr wahrscheinlich, dass privatversicherte Patienten in den kommenden Jahren an das gleiche System der Telamtikinfrastruktur angebunden werden. Es ist nicht davon auszugehen, dass Private Krankenkassen und Privatpatienten weiterhin ihre Verwaltungsvorgänge analog abwickeln werden.
  2. Ausstellungen von AU-Bescheinigungen aufgrund der Erkrankung eines Kindes bleiben von der neuen eAU-Pflicht unberührt und müssen weiterhin in Papierform erfolgen. Ob und wann es hier eine Umstellung geben wird, ist noch unklar.
  3. AU-Bescheinigungen, die im Ausland ausgestellt wurden, können in diesem speziellen Verfahren in Deutschland vorerst nicht teilnehmen. So müssen diese in Papierform bei Arbeitgebern eingereicht werden.

Fazit und Empfehlung

Die neu und verspätet eingeführte eAU hat eine langen holprigen Weg hinter sich

Nach über einem Jahr eAU sollten Arbeitgeber weitestgehend dazu in der Lage sein, die AU-Bescheinigung digital abrufen zu können. Sollten vorhersehbare Zweifel darin bestehen, empfiehlt es sich die ausstellende Arztpraxis um eine Papierbescheinigung zu bitten. Der Gesetzgeber räumt Patienten ausdrücklich ein Anrecht auf die Ausstellung einer Papier-AU ein, wenn sie dies wünschen. Ob es Mitarbeiter bzw. die Ärzte in der Praxis dieser Rechtsanspruch bewusst ist, steht auf einem anderen Blatt. Sobald Du von Deinem Arbeitgeber die Information erhälst, dass ein eAU-Abruf wieder möglich ist, kannst Du auf Papierausdrucke wieder gänzlich verzichten.

Ursprünglich wurde die eAU zum 1. Januar 2021 flächendeckend durch das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) – (in Kraft seit 10.05.2019) vorgeschrieben. Ab diesem Zeitpunkt sollte zunächst der Weg von der Arztpraxis/dem Krankenhaus hin zur zuständigen Krankenkassen digital abgewickelt werden. Das die Arbeitgeber erst circa sechs Monate später (nachdem die Anwendung in den Arztpraxen und Krankenhäusern eingeführt wurde) damit beginnen, die eAU digital über eine technische Schnittstelle von den Krankenkassen abzurufen war bei den Schlüsselakteuren (Bundesgesundheitsministerium, gematik etc.) bereits im Vorfeld lange bekannt.

Mit etwa zwei Jahren Verspätung können wir heute davon sprechen, dass die eAU „allmählich“ in der Versorgung angekommen ist. Die stufenweise Einführung ist jedoch bei der Digitalisierung von Vorgängen noch relativ selten und daher sehr schlecht in der Öffentlichkeit zu kommunizieren.

Nachdem jetzt alle diese nervenaufreibenden Hürden hinter uns liegen, hoffe ich inständig, dass die Anwendung der eAU so optimiert wird, dass für Ärzte und Zahnärzte dieser Vorgang künftig „schmerzfrei“ abläuft. Patienten und Krankenkassen dürften rasch den Mehrwert einer eAU spüren. Ich hoffe, dass zeitnah die leistungserbringenden Akteure im Gesundheitswesen (Ärzte, Zahnärzte, Medizinische Fachangestellte, Krankenpfleger usw.) ebenfalls eine digitale Anwendung nutzen dürfen, die sie bei ihrer so wichtigen Arbeit entlastet.

Einzelnachweise:

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